Von Matthias Christler
Innsbruck – Der Schweizer Simon Gerber müsste tief Luft holen, um die ganzen „Ur-Ur-Ur“ aufzuzählen, die zwischen ihm und der Gletscherleiche „Ötzi“ liegen. Ungefähr 400 Generationen sind es, die ihn und seinen berühmten Verwandten trennen. Gerber wollte mehr über seine Vergangenheit wissen und ließ die eigene DNS von einem privaten Schweizer Gen-Institut analysieren. Das Ergebnis überraschte ihn. Er und Ötzi haben dieselben Vorfahren.
Eine Sensation? Nicht ganz, aber dazu später. Gerber jedenfalls musste im ersten Moment schmunzeln: „Ich wollte mehr über meine Vergangenheit wissen und habe deshalb diesen Test gemacht. Und es gibt tatsächlich Gemeinsamkeiten“, sagt er. Auch er habe wie Ötzi eine Laktoseintoleranz und er ernähre sich ebenfalls fast nur von Getreide. „Von meiner Prägung her bin ich auch eher bäuerlich. Ich habe deshalb Hochachtung vor Leuten wie ihm, wie sie ihr Leben damals gemeistert haben.“ Eine wirkliche Verbindung empfindet er aber nicht: „Es ist eher eine Sympathie“, weil er weiß, dass die Verwandtschaft sehr weit hergeholt ist. „Er ist ja nicht gerade mein Onkel.“ Auch nicht sein Opa und wahrscheinlich nicht einmal sein 400-facher Uropa.
Die DNS-Analyse hat eben nur ergeben, dass er und Ötzi dieselben Vorfahren hatten. Nicht aber, ob sie im Stammbaum direkt in einer Linie über den Vater miteinander verwandt sind. 2012 wurde das Erbgut der Gletscherleiche veröffentlicht. Unternehmen wie das Schweizer Gen-Institut bieten seitdem Tests zwischen 200 und 1100 Euro an, um eine Verwandtschaft zu Ötzi nachzuweisen. Bei über 20 Schweizern war der Test erfolgreich und diese Personen können sich nun mit einem 5200 Jahre alten Verwandten rühmen.
Innsbrucker Gerichtsmediziner wählten einen anderen Weg. Auch sie fanden bei ihrem DNS-Projekt 19 Verwandte. „Das war Zufall“, sagt Walther Parson, Leiter der Forensischen Molekularbiologie am Institut für gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck. Zusammen mit seinen Kollegen erforschten sie mittels der DNS die Wanderrouten des Menschen in den Alpen (siehe Artikel rechts). Bestimmte Menschen, deren DNS übereinstimmende Merkmale haben, können in so genannten Haplogruppen zusammengefasst und so deren Verbreitung nachverfolgt werden.
Bei einer Blutspendeaktion wurde die DNS von 3800 Tirolern mit deren Einverständnis dahingehend analysiert. Eine Ethikkommission erlaubte das Projekt, weil die Ergebnisse vollkommen anonym ausgewertet wurden.
„Wir haben bei den 3800 getesteten Personen zwar 19 Übereinstimmungen mit der Haplogruppe G von Ötzi gefunden. Unser Ziel war es aber nicht, diese Tests den jeweiligen Personen zuzuorden“, erklärt Parson. Ihnen gehe es nicht um das Individuum, sondern um die ganze Population.
Parson sieht personalisierte Tests auch kritisch. „Im Prinzip sind wir ja alle mit Ötzi irgendwie verwandt, die Frage ist nur in welchem Grad.“ Da spiele so ein DNS-Test deshalb keine wesentliche Rolle, weil zum Beispiel auch die 19 gefundenen „verwandten“ Tiroler schon viel zu viele Generationen entfernt von Ötzi seien. „Sie sehen sicher nicht so aus wie er.“
Hochgerechnet dürften einige tausend Tiroler derselben Haplogruppe wie Ötzi angehören. Wer es genau wissen und sich privaten Firmen anvertrauen will, sollte sich der „Nebenwirkungen“ bewusst sein. Einige Ahnenforschungs-Seiten arbeiten mit versteckten Abo-Kosten; weit bedenklicher sind aber die möglichen Interessen privater Gen-Institute. Parson rät davon ab, diesen die eigenen Gesundheitsdaten und die eigene DNS zu überlassen. Solche Daten seien viel mehr wert als einige hundert Euro, die der Test kostet. Die Daten könnten Pharma-Unternehmen oder Versicherungen teuer verkauft werden. „Und dann ist man wirklich ein gläserner Mensch“, warnt Parson.
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